
Diesen Bericht schrieb eine Mutter, die ihr drittes Kind im Golf von Thailand quasi alleine im Meer zur Welt brachte.
Sie arbeitete als Hebamme bevor sie mit der ganzen Familie 2015 "ausstieg". Ihre ganze Geschichte, wie auch vieles mehr über das erfüllte vegane Leben und bedürfnisorientierter Erziehung könnt ihr auf ihrem Blog unter www.fitforfamily.net folgen.
Ich bin 29 Jahre alt, habe zwei Kinder und keinen Kinderwunsch. Oli und ich haben gerade eine sehr emotionale Zeit hinter uns und stecken mitten in den Vorbereitungen für einen Online-Kongress. Unser frisch renoviertes Haus ist zumindest formal verkauft, der Notartermin ist endlich über die Bühne gegangen. Überall stehen Umzugs-Kartons und täglich kommen die verschiedensten Leute um alle Kisten abzuholen, die ich über Ebay-Kleinanzeigen zum Verschenken eingestellt habe. Giulio und Susanna, zu dem Zeitpunkt 4 und gerade 2 Jahre alt, werden immer wieder von meiner Schwester betreut, damit wir die 18 Interviews für unser Event führen können. Mein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber könnte nicht größer sein, da ich seit Wochen das Gefühl habe, sie auf Sparflamme zu betreuen.
Unser Leben hat sich seit Olis Kündigung im Winter 2014/2015 komplett auf den Kopf gestellt. Kleine und eigentlich eher große Probleme haben uns immer wieder in die Knie gezwungen und ausgebremst. Vor allem meine innerliche Blockade, niemanden von Familie und Freunden enttäuschen zu wollen. Das ist bei unserem Wandel vom verbreiteten Modell mit Karriere, Haus und Hof auf digitale Nomaden ohne festen Wohn- und Besitz praktisch unmöglich. Und so stürzen wir manchmal ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne, um dann wieder Wochen lang in Schockstarre zu verfallen.
Dass wir ein drittes Kind wollen, war uns schon klar, bevor das erste gekommen ist. Aber jetzt darüber nachdenken? Unmöglich!
Bis ich völlig unerwartet und sprichwörtlich aus heiterem Himmel (und im größten Chaos) den intensiven und unauslöschlichen Gedanken an ein Baby habe. Oli wohl auch, denn nur ein paar Wochen später bin ich glückselig schwanger.
Wenige Tage darauf liege ich mit einer Freundin im Freibad. Unsere insgesamt vier Kinder spielen ausnahmsweise zufrieden neben uns und während ich ihren schon großen Babybauch mit dem dritten Kind betrachte, habe ich zum ersten Mal den Gedanken an eine Wassergeburt.
Weder bei Giulios, noch bei Susannas Schwangerschaft und Geburt hatte ich das Bedürfnis, ins Wasser zu steigen. Die große Gebärwanne bei Giulios Geburt war voll und angenehm warm aber ich fühlte mich unwohl und war schnell wieder draußen. Bei Susanna wollte ich nicht mal ein Entspannungsbad.
Aber in dieser dritten Schwangerschaft ist es anders. Denke ich an die Geburt, denke ich an Wasser.
Unseren Schnellstart in die Welt der Online-Unternehmer durchlebe ich in einem Nebel aus völlig ungewohnter Übelkeit und Erschöpfung. Nachdem der Kongress geschafft ist, sind Oli und ich unfähig, einen Laptop auch nur aufzuklappen.
Drei völlig verrückte Wochen später steht statt unserer zwei Autos ein gebrauchtes Wohnmobil vor der Tür, das wir in einer Blitzaktion erstanden und beladen haben. Nahezu alles ist nun verkauft, der Rest eingelagert und fast wie auf der Flucht verlassen wir unseren Heimatort, um in ein neues Leben aufzubrechen.
Nach den emotionalen Höhen und Tiefen der letzten Monate, fühlen sich meine Schwangerschaftshormone geradezu angenehm an. Ich lasse mich fallen und erlebe mit meiner Familie eine wunderbare Zeit im Wohnmobil.

Der Herbst auf Sardinien bringt uns wieder ins Gleichgewicht und obwohl wir eigentlich einen Winter in Südeuropa geplant hatten, entscheiden wir uns im November völlig spontan für eine Backpacker-Thailand-Reise. Auf dem Weg zum Flughafen legen wir noch einen kurzen Zwischenstopp bei meinem Frauenarzt ein, denn ich habe mich entschieden, den Organ-Schall in der 23. Woche machen zu lassen. Sollte unser Baby, wider meinem Gefühl, krank sein und spezielle Hilfe bei der Geburt brauchen, würden wir entsprechend umdisponieren.
Aber es gibt keine Auffälligkeiten und so treten wir die Reise Ende November an. Ich habe meinen Mutterpass dabei, doch bis auf die ersten drei Vorsorgen in Deutschland bleibt er leer. Die warme Sonne, die Entspannung, die ausgedehnte Familienzeit, Olis uneingeschränkte Unterstützung, der Zusammenhalt der vielen Familien in unserem Resort und der Abstand zu den Ängsten, die mir in Deutschland von allen Seiten auferlegt wurden, lassen mich in tiefen Kontakt zu unserem Baby treten. Ohne ärztliche Eckpfeiler-Termine der Schwangerschaft kann ich mich intensiver in meinen Körper einfühlen und meine Intuition stärken. Dank unseres veränderten Lebens- und Arbeitsrhythmus habe ich außerdem die Möglichkeit, mich auch tagsüber etwas auszuruhen.

Um dennoch auf mögliche Komplikationen vorbereitet zu sein, besuchen wir eine Klinik auf “unserer” Insel Koh Phangan, um im Notfall den Weg zu einem Ansprechpartner zu finden. Aber ich fühle mich stark und gesund, unser Baby wächst, bewegt sich und reagiert, wenn ich Kontakt zu ihm aufnehmen möchte.
In der 37. Woche habe ich unerwartet für einige Tage keine Lust mehr auf Schwangerschaft. Es ist heißer als sonst und ich bekomme ordentlich Wasser in die Beine. Um mich abzulenken, machen wir einen kleinen Ausflug in das erste Resort, in dem wir auf Koh Phangan waren. Während die Kinder mit Oli überglücklich in dem ungewöhnlich sauberen Pool planschen, laufe ich an dem kurzen Strand entlang, umrunde den angrenzenden, großen Felsen und stehe plötzlich in einer kleinen Bucht.
Eine Meergeburt war mein unausgesprochener, heimlichster Traum und in diesem Moment wird er greifbar. Wenn im Ozean, dann hier, zwischen den großen Felsen, wellengeschützt durch den 200m entfernten Wall und vom Hauptstrand getrennt durch einen schmalen Fluss.

Während der nächsten Wochen mache ich mir immer wieder Sorgen, dass unser Baby zu einer Zeit kommen könnte, in der eine Meergeburt nicht klappen würde. Zum Beispiel nachts, wenn es von Krebsen wimmelt und es sowieso viel zu dunkel ist oder dann, wenn Leute am Strand sind und ich nicht ungestört sein könnte, oder dann, wenn meine Freundin nicht mehr da wäre, die uns hier besucht. Bis ich irgendwann den Gedanken habe, dass dieses Kind ja offensichtlich im Wasser geboren werden will und es sich dann auch den richtigen Zeitraum aussuchen wird. Mit dieser Erkenntnis kann ich mich endlich entspannen und überstehe selbst Olis stationär behandelte Lungenentzündung wenige Tage vor dem errechneten Termin und die anstehende Terminüberschreitung ohne weiter beunruhigt zu sein.
Am dritten Tag nach Termin habe ich morgens die erste kräftige Welle. Ich beginne, mich mental darauf einzustellen und rechne mit einer schnellen Geburt von etwa 2,5 Stunden, wie bei Susanna. Aber unser Kind hat andere Pläne. Die Geburtswellen sind zwar kräftig aber kurz und kommen nur etwa alle 25 Minuten. Ich verbringe den Tag immer wieder im Meer oder im Pool und möchte nachmittags lieber in das andere Resort wechseln, um nahe an der Bucht zu sein. Als sich der Abend nähert, bin ich etwas enttäuscht – mit einer Meergeburt wird es wohl nichts.
Für die Nacht baue ich mir ein kleines Lager auf dem Bett. Eine dicke Decke als Unterlage und darauf der große Gymnastikball, auf dem ich immer wieder die Wellen veratme. Obwohl ich den ganzen Tag Kontraktionen hatte, bin ich relativ fit. Die langen Pausen sorgen für die entsprechende Erholung und in der Nacht schlafe immer wieder ein. An der Wellen-Requenz ändert sich nichts und der Muttermund öffnet sich zwar nur langsam aber stetig.
Kurz vor Sonnenaufgang bin ich bei etwa 4-5 cm und schaue nochmal meine Tasche durch. Mehrere Handtücher, eine wasserdichte Unterlage und eine Tüte für die Plazenta liegen darin. Um Notfall-Telefonnummern und Handy kümmert sich Oli, sollten wir doch Hilfe brauchen.
Gegen elf Uhr vormittags gebe ich meiner Freundin Bescheid. Der Muttermund ist nun 6 cm offen und obwohl ich weiterhin nur etwa 10 Wellen in der Stunde habe, merke ich doch einen zunehmenden Druck und brauche deutlich mehr Konzentration, um mein “Geburtsbild” zu visualisieren.
Dass ich mich in dieser Schwangerschaft viel mit schmerzfreier Geburt, Tiefenentspannung, Affirmationen (“Ich bin fit für die Geburt und sie wird ein wunderschönes Erlebnis.”) und Visualisierungen beschäftigt habe, hilft mir sehr. Wenn ich eine neue Welle kommen spüre, stelle ich mir meine Gebärmutter vor, deren Längsmuskulatur von hellen Bändern nach oben gezogen wird, um den Muttermund sanft zu öffnen. Die Urgewalt meines Körpers raubt mir manchmal fast den Atem und ich habe eine Ahnung davon, wie sehr die Wellen schmerzen könnten, wäre ich nicht so entspannt.
Im glasklaren Poolwasser fühle ich mich am wohlsten und während die Kinder mit ihren Autos spielen, Oli sich um die entsprechende Verpflegung kümmert und meine Freundin mit ihren beiden Kindern (5 und 3 Jahre alt) eintrifft, ziehe ich meine Bahnen. Für die Wellen schwimme ich an den Poolrand mit Blick aufs Meer und amte mich bewusst durch die kurze aber heftige Kontraktion. Niemand außer uns ist da und das Resort mit den vielen Bungalows liegt ruhig hinter mir.
Plötzlich habe ich eine so starke Welle, dass ich mein “Geburtsbild”, das mich zuverlässig durch die ganze Eröffnungsphase begleitet hat, nicht mehr greifen kann. Ich werde sprichwörtlich überrollt und habe sofort heftige Schmerzen. Ich gebe Oli ein Zeichen und wir machen uns schon mal alleine auf den Weg ans Meer.
Während der wenigen Meter habe ich mehrere Wellen hintereinander, merke, wie ich mich zunehmend verkrampfe und bin froh, als wir das kühle Meerwasser erreichen. Heute ist es bewölkt, was ungewöhnlich und gut für mich ist. Es ist halb eins und normalerweise ist es um die Mittagszeit kaum auszuhalten.
Ich trete in Kontakt zu unserem Kind, das sich wie immer sofort mit einem kleinen Fußtritt meldet. Jetzt kommen die Wellen alle 5 Minuten und ich schwanke zwischen Begeisterungs- und Verzweiflungsgefühlen. Meine Visualisierung habe ich vergessen und hypnotisiere statt dessen die hinter dem Damm vorbei fahrenden Fischerboote. Als meine Freundin mit den Kindern eintrifft, bin ich völlig eingenommen vom Geburtsgeschehen und brauche Oli an meiner Seite. Meinen ursprünglich ausgesuchten Platz inmitten von einigen kleineren Felsen kann ich nicht beibehalten, da die Schwerkraft natürlich nicht wie an Land wirkt und ich keinen stabilen Halt habe. Also rutsche ich ein Stück nach vorne, um mich an einem Felsen festhalten zu können. Mein Versuch, eine Welle auf einem Felsen besser verarbeiten zu können, scheitert kläglich. An Land kann ich die Kontraktion absolut nicht aushalten und bin schnell wieder im Wasser.
Unser fünfjähriger Sohn Giulio und sein Freund suchen sich einen Felsen in meiner Nähe aus und beobachten uns sehr interessiert aus sicherer Entfernung. Susanna ist die Situation zu spannend und sie bleibt lieber mit ihrer besten Freundin und meiner Freundin, die eine enge Bezugsperson von ihr ist, am Strand.

Dass meine Freundin da ist, gibt mir ein wunderbares Gefühl von Sicherheit. Sie glaubt an mich wie Oli und beide zweifeln keine Sekunde daran, dass wir die Geburt zusammen meistern werden. Es ist niemand da, der mich in irgendeiner Form beeinflusst, mir Angst macht oder die innere Interaktion mit meinem Baby stört. Ich habe keinen Dauer-Herztonschreiber am Bauch, der mein Kind und alle Anwesenden ablenkt und mein Gefühl sagt mir sehr zuverlässig, dass ich mitten in der Endphase der Geburt stecke.
Mit der nächsten Welle kommt der Pressdrang, den ich trotz aller Entspannungversuche nicht bremsen kann. Der Druck ist so gewaltig, dass ich nicht anders kann, als zu schreien. Ich versuche mitzuschieben, was aber nicht funktioniert. Ich habe das eigenartige Gefühl, dass ich zwar schiebe aber nichts ankommt. Die Welle an sich ist so stark, dass meine physische Kraft wohl nicht gebraucht wird. Wie bei den beiden anderen Geburten finde ich es auch in diesem Moment einfach verrückt, wie normal ich mich trotzdem in den Pausen fühle – als ob ich gerade nichts anderes machen würde, als im Meer zu baden.
Während der nächsten Kontraktion fühle ich mich allerdings etwas panisch und erinnere mich daran, dass Sarah Schmidt in ihrem Buch “Alleingeburt” diesen Moment als möglichen Schlüsselpunkt für die baldige Geburt des Kopfes beschreibt. Bewusst wie noch nie spüre ich den Kopf tiefer treten und habe immer eine Hand zwischen den Beinen. Mit der anderen klammere ich mich an Oli fest, der wie ein wahrhaftiger Fels in der Brandung sitzt und nichts tut, außer mich festzuhalten und mir mit seiner Ruhe und unumstößlichen Zuversicht Kraft und Sicherheit zu geben.
Jetzt platzt die Fruchtblase und ich spüre deutlich viele Haare. Das kleine Fruchtwasser-Polster vor dem Köpfchen ist verschwunden und der Druck maximal. Diese Welle bringt den Kopf um die Kurve und nun rutscht er in der Pause auch nicht mehr zurück. Ich weiß, dass unser Baby mit der nächsten Welle geboren wird und habe den Gedanken, dass es ganz einfach nur ich bin, die diese Geburt meistern kann. Diesen Zeitpunkt der maximalen Dehnung kann mir keiner abnehmen. Eine PDA nimmt zwar den möglichen Dehnungsschmerz weg aber leider auch oft den Kontakt zum Baby. Interventionen und Manipulationen am kindlichen Kopf oder am Muttermund führen nicht selten zu traumatischen Erfahrungen für Mutter und Kind. Also warte ich auf die kommenden Sekunden und bündle meine Kräfte.

Die Welle rollt an und ich verarbeite den immensen Druck durch unwillkürliches Schreien mit offenem Mund. Meine Versuche diese Urgewalt anders zu kanalisieren, funktionieren nicht, was aber nicht schlimm ist. Niemand sagt mir, dass ich leiser sein sollte.
Der Kopf unseres Babys tritt durch und füllt plötzlich meine Hand aus. Giulio ist von seinem Felsen geklettert und steht neben Oli und mir im Wasser. Ich höre ihn sagen “Schau mal Papa, da ist der Kopf”.
Ein unvergleichliches Glücksgefühl durchflutet mich und aufgewühlt warte ich im Vierfüßlerstand ab, dass sich das Köpfchen von alleine dreht und die Schultern geboren werden. Unser Baby scheint den Kopf versuchsweise mehrmals in beide Richtungen zu drehen und ich nehme die Hände weg, um es nicht zu stören.
Als es so weit ist, kommt die letzte Welle dieser Geburt und im nächsten Moment ist unser kleines Mädchen geboren. “Katharina” öffnet unter Wasser die Augen und sieht Oli direkt an. Ein Erlebnis, das ihn zutiefst bewegt. Lachend umfasst er sie mit beiden Händen am Bauch und reicht sie, immer noch unter Wasser, durch meine Beine an mich weiter. Ich halte sie und hebe sie aus dem Meer – mein Kind, durch mich in unsere Hände geboren.
Niemals werde ich diesen Moment und dieses Gefühl vergessen. Alle kommen zu uns ins Wasser und staunend bewundern wir dieses kleine Baby. Sie sieht uns mit großen Augen an und ist ganz ruhig.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich kein Blut verloren. Jetzt kommt ein kleiner Schwall und weil ich das Gefühl habe, dass das Meer trotz Tropensonne etwas zu kalt für Katharina ist, gehe ich mit ihr, immer noch durch die Nabelschnur verbunden, an Land.
Dort setzen wir uns auf ein großes weiches Handtuch und ich lege sie zum ersten Mal an die Brust. Als ob sie noch nie etwas anderes getan hätte beginnt sie zu saugen, wird schnell am ganzen Körper rosig und etwa 20 Minuten später löst sich auch die Plazenta. Ich gebäre sie auf unserem Strandtuch, das ich vor vielen Jahren auf Sardinien zum Geburtstag bekommen habe. Wenig geronnenes Blut kommt mit und wird durch die wasserdichte Unterlage aufgefangen. Ich bin im Hormonrausch und fühle mich hellwach und energetisch.
Eine halbe Stunde bleiben wir noch am Strand, dann ziehe ich mich an und wir packen wir die Plazenta in die Tüte. Wir haben uns entschieden, die Nabelschnur vorerst nicht durchzuschneiden, um den natürlichen Blutfluss nicht zu unterbrechen und um Katharinas Verbindung zu diesem beeindruckenden Organ noch etwas aufrecht zu erhalten. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg in unseren Bungalow und ich trete das schönste Wochenbett an, das ich mir hätte vorstellen können. Umgeben von meiner Familie, unterstützt von unseren Freunden, ungestört und mit Olis vollem Rückhalt.
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